Mit der Ankündigung, eine „verschlankte“ Zentralmatura stattfinden zu lassen, hat Heinz Faßmann nun Klarheit geschaffen. Im Gastkommentar spricht der angehende Maturant Maximilian Werner von einer „Win-win-Situation“ mit Abstrichen.
Keine mündliche Reifeprüfung, verlängerte Bearbeitungszeit und eine Beurteilung, die sich aus den Klausurarbeiten und dem Zeugnis der Abschlussklasse zusammensetzt: Das sind die harten Fakten zur diesjährigen Reifeprüfung. Und viele der 40.000 Maturantinnen und Maturanten freuten sich zunächst doch darüber, dass endlich Klarheit vonseiten der Bundesregierung gesprochen wurde.
Doch ein Beigeschmack blieb, ist es dann halt doch nicht das, was vielfach gefordert wurde. Die Durchschnittsmatura, wie sie zum Beispiel von der SPÖ-Vorfeldorganisation AKS gewünscht war, kam nicht. Aber auch die Forderung der ÖVP-nahen Schülerunion, wonach man sich keine Erleichterung wünschte, weil man die Sorge hatte, man würde automatisch zu dem Jahrgang abgestempelt werden, die die Matura „geschenkt“ bekommen habe, wurde nicht ganz so umgesetzt.
Eine Gratwanderung.
Es scheint, als sei dieser Fahrplan der Versuch, das Motto der Bundesregierung („Das Beste aus beiden Welten“) auch in der diesjährigen Reifeprüfung widerspiegeln zu lassen. Denn die verkündeten Maßnahmen sind genau so gewählt, dass man den Initiatoren zweier Petitionen nun vorhalten kann, man habe sie eh gehört und Erleichterungen eingebaut. Und auch der Schülerunion kann ihre Angst, sie könnten keine Leistung erbringen und aufgrund dessen später Probleme haben, genommen werden. Diese Schüler können nämlich einfach freiwillig im September antreten. Und das sogar ohne einen Antrittsversuch zu verlieren. Also müssten doch eigentlich alle Beteiligten zufrieden sein. Oder?
Nicht ganz. Denn die Probleme, die vor allem dazu führten, dass vielfach eine Absage der diesjährigen Reifeprüfung gefordert wurde, verschwinden durch die aktuellen Maßnahmen ja nicht. Es ändert nichts daran, dass junge Erwachsene aus sozial schwachen Haushalten weiterhin oft keine adäquaten Lernmöglichkeiten in den eigenen vier Wänden haben. Und es ändert nichts daran, dass viele Personen, die eh schon vor jeder Schularbeit an die Grenzen ihrer Nerven stoßen, weiterhin einer zusätzlichen psychischen Belastung ausgesetzt sind.
Dies ist kein Zeichen dafür, dass sie den Stoff nicht beherrschen – meist haben sie sogar am meisten Zeit in die Vorbereitung investiert –, jedoch wird die Angst zu versagen von Jahr zu Jahr größer. Vor allem in solch einem System, das kleinste Ungenauigkeiten und „schlechte Tage“ sofort gnadenlos bestraft.
Doch es ist dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. Bekanntermaßen werden schlussendlich sechs Wochen „normaler“ Unterricht in der Schule fehlen, da wäre eine ordnungsgemäße Durchführung hinrissig gewesen. Und mit den gesetzten Maßnahmen – wie der verlängerten Bearbeitungszeit der Aufgaben und dem eigenen Vorbereitungspaket für Mathematik – sollten die schriftlichen Klausuren durchaus machbar sein. Auch dank zusätzlicher drei Wochen „klassischer“ Unterrichtsstunden direkt an den Schulen.
Der schriftliche Teil – Das kleinere Übel?
Was der Öffentlichkeit nämlich oft gar nicht so bewusst ist, ist die Tatsache, dass die mündlichen Prüfungen die größere Schwierigkeit für die meisten darstellt. Viele sind dabei zum ersten Mal einer solch „freien Sprechsituation“ ausgesetzt. Und auch die Präsentationen der VWAs und DAs, die meist noch eine Übung dafür darstellten, hatten ja meist nicht stattgefunden. Zudem übersteigt der Stoff, der für die mündlichen Prüfungen zu beherrschen ist, jenen der schriftlichen um Längen. In Mathematik sind „nur“ die Grundkompetenzen und in Deutsch „nur“ sieben Textsorten zu beherrschen. Und selbst in den lebenden Fremdsprachen wird das Lernen auf Schularbeiten und Tests von Jahr zu Jahr schwieriger, da immer mehr Aufgaben auf Kompetenzen aufgebaut sind, die meist ein hohes sprachliches Verständnis voraussetzen. So werden Ansagen von Lehrpersonen wie „Lest euch ein paar Texte durch und macht ein paar Übungen online. Mehr lernen kann man eh nicht“ immer mehr zum Alltag.
Während diese Grundkompetenzen während der gesamten Oberstufe eh schon dauerhaft in den Schularbeiten abgeprüft werden und aufeinander aufbauen, schaut die Situation für die mündliche Prüfung anders aus.
In diesen Klausuren nämlich sind pro Fach bis zu 18 Themenbereiche perfekt zu beherrschen, und Aufgaben müssen zuvor einer Kommission vorgelegt und durch diese abgenommen werden. So gehört auch die Vermutung, dass da meist „eh nur einfaches Zeug abgefragt wird“, der Vergangenheit an. Und die Beurteilung muss durch mindestens zwei Lehrpersonen des jeweiligen Schulfachs im Einklang mit dem Direktor und dem Klassenvorstand erfolgen. Noten werden also auch nicht mehr „hergeschenkt“, wie man es oft aus Erzählungen von früher hört.
Alles halb so wild.
Was ist die Reifeprüfung in diesem Jahr also? Ziemlich sicher eine Chance für alle Maturanten, die sich mit der Vorbereitung zu Hause aufgrund äußerer Umstände schwergetan hätten – auch die auf drei Wochen verlängerte Vorbereitungszeit direkt an der Schule ist hierfür essenziell. Und sie ist auch eine Chance für all jene, denen, zusätzlich zur allgegenwärtigen psychischen Belastung einer Prüfungssituation, nun die Corona-Krise zu schaffen macht.
Auch die Bundesregierung dürfte mit sich zufrieden sein. Man musste zwar Kompromisse schließen, weigerte sie sich zu Beginn der Krise doch noch, die Reifeprüfung abwandeln, aber man hat zumindest eines erreicht: Ziemlich viele Personen können mit der jetzigen Lösung leben. Die Schülerunion, die nun keine Angst haben muss, dass ihre Leistung geschmälert wird, die AKS, die zumindest einen Teil ihrer Forderung in der Petition durchsetzen konnte, und auch die Öffentlichkeit, für die jetzt der Schein gewahrt wird, dass eh eine ziemlich „normale“ Matura durchgezogen wird. Denn man wird immer sagen können: „Es gibt keinen Grund zur Aufregung, wir haben eh zentralisiert geprüft. Alle hatten Leistung zu erbringen.“
Und so ist die diesjährige Reifeprüfung als „Win-win-Situation“ zu werten. Zwar mit Abstrichen auf allen Seiten, aber mit den richtig gesetzten Kompromissen, die einiges an Zufriedenheit auslösen. Eine typisch österreichische Lösung also.
Dieser Text erschien zuerst in der Online-Ausgabe des STANDARD.
Ich kann verstehen, dass die SchülerInnen Angst haben, dass sie Nachteile haben könnten, wenn die Anforderungen gelockert werden. Viele haben viel Energie in die Maturavorbereitung gesteckt, z. B. Kurse gemacht. Auch mein Sohn möchte nichts geschenkt bekommen.
Vielen Dank für Ihren Artikel zur Matura in 2020. Es trifft sich gut, denn meine Tochter wird demnächst mit der Vorbereitung auf ihre Maturaprüfungen beginnen und deshalb wollte ich mich über den Prüfungsablauf in diesem Jahr informieren. Es ist gut zu wissen und ich werde ihr auch weiterleiten, dass es keine mündliche Reifeprüfung gab und die Maturienten eine verlängerte Bearbeitungszeit erhielten.
Hallo! Danke für Ihre Nachricht, freut mich, dass ich Ihnen behilflich sein konnte. Sollten Sie noch genauere Infos suchen, habe ich in diesem Text (https://www.maximilianwerner.at/blog/die-corona-matura-es-war-dann-doch-alles-ein-bisschen-besonders/) die Abläufe bei der Matura noch ein bisschen genauer beschrieben. Für das kommende Jahr sind aber noch keine genauen Regeln veröffentlicht worden, also es kann sich noch einiges ändern. Ihnen und Ihrer Tochter alles Gute für das letzte Schuljahr und die Matura!