Dieses Interview erschien zuerst am 29.8.2023 in den Vorarlberger Nachrichten und ist weiterhin hier abrufbar.
Sein Ziel sei dennoch, ein „veritables Finanzierungsproblem“ im Gesundheitssystem zu verhindern. Vorstellen kann er sich, das volle Kinderbetreuungsgeld im Eltern-Kind-Pass an die Absolvierung des Kinderimpfprogramms zu koppeln.
Wien Johannes Rauch (Grüne) ist seit 8. März 2022 Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Im Interview mit den Vorarlberger Nachrichten spricht der Rankweiler über den „trägen“ Föderalismus und warum er trotzdem eine sinnvolle Gesundheitsreform anstrebe, über Impfungen und deren Diskreditierung durch rechte Bewegungen sowie über die FPÖ und deren Parteichef Herbert Kickl.
Sind in einem föderalen System, wie es Österreich eins ist, weitreichende Reformen, die Sie jetzt im Gesundheitsbereich durchsetzen wollen, überhaupt möglich?
RAUCH Das ist die Schlüsselfrage. Es gibt genau zwei Möglichkeiten: Entweder eine Bundesstaatsreform, die ist natürlich nicht in Sicht, oder den Finanzausgleich. Die Botschaft des Finanzministers und von mir war, dass es zusätzliches Geld geben wird, aber nur bei Reformbereitschaft. Diese gibt es bei den Ländern. Es wird jetzt intensiv verhandelt, die Zielsetzung ist eine einfache: In der Pflege geht es darum, die Anschubfinanzierung des Bundes im Rahmen der Pflegereform abzusichern – also gemeinsam mit den Ländern das Pflegesystem zu sichern. Und bei der Gesundheit, der noch größeren Baustelle, geht es darum, den niedergelassenen Bereich so zu stärken, dass die Spitäler und Ambulanzen entlastet werden. Das ist eine Riesen-Challenge, weil da die Sozialversicherung und viele andere Player mit am Tisch sitzen. Aber das ist der einzige Hebel, den ich habe.
Die Macht des Gesundheitsministers im Gesundheitssystem beschränkt sich darauf, dass er Geld verteilt, oder eben nicht?
RAUCH Der Hebel, mit dem man Reformen einbringen und das Gesundheitssystem so absichern kann, dass es zukunftsfähig ist, ist der Finanzausgleich. Also zum Beispiel zusätzliche Gelder sowohl gegenüber der Sozialversicherung als auch den Ländern zu binden: Dass der ambulante Sektor gestärkt wird, mehr Primärversorgungszentren errichtet werden, es mehr niedergelassene Arztpraxen gibt und dass die Devise „Digital vor ambulant vor stationär“ Platz ergreift.
Ist der Föderalismus schuld daran, dass Menschen zum Teil unzureichend medizinisch versorgt werden?
RAUCH Na ja, der Föderalismus ist ein träges System. Mit neun Bundesländern und all den Playern, der Sozialversicherung, der Ärztekammer. Hier Dinge neu aufzusetzen, ist kompliziert. Das ist der Grund, warum da viele bisher nicht hingelangt oder sich die Finger verbrannt haben. Ich mache das deshalb, weil wir, wenn wir es nicht tun, in fünf Jahren ein veritables Finanzierungsproblem haben. Und dann kommt das Grundsystem an den Rand dessen, dass es überhaupt noch funktioniert. Und das will ich nicht.
Landeshauptmann Markus Wallner hat Anfang Mai gesagt, dass die Verhandlungen bis zum Sommer abgeschlossen sein müssten. Jetzt ist Ende August. Droht, dass der Finanzausgleich verlängert wird?
RAUCH Nein. Wir waren ja nicht untätig, der Urlaub war ein kurzer. Wir haben die ganze Legistik, die Begleitgesetze, schon vorbereitet und an die Länder verschickt. Jetzt geht es noch darum, mit dem Finanzminister und den Ländern den Finanzrahmen in allen Bereichen aufzuspannen. Aber ich bin relativ sicher, dass das gelingen wird.
Zu Beginn der Verhandlungen haben Sie gesagt, dass Sie eine Gesundheitsreform versuchen wollen, egal ob es funktioniert oder nicht. War Ihnen von Anfang an klar, dass das in Österreich praktisch unmöglich ist? Ist es das?
RAUCH Unmöglich ist gar nichts, es ist schwierig, weil es sehr komplex ist. Aber das schreckt mich nicht ab, sondern ich mache das aus der Überzeugung heraus, dass ich der Republik eine schwierige Situation hinterlasse, wenn ich es nicht tue. Und das will ich nicht.
Haben das Ihre Vorgänger ignoriert?
RAUCH Es war halt immer einfacher, zu sagen, dass etwas unmöglich ist, dass es zu kompliziert ist. Aber um den Bogen zu schlagen: Die Valorisierung der Sozial- und Familienleistungen ist ein Jahrhundertprojekt, das 15 Sozialminister vor mir versucht haben umzusetzen – diese Regierung hat es auf den Weg gebracht. Da muss man halt irgendwie den Mut haben, große, schwierige Fragen anzugehen und ich tue das.
Der Opposition passiert rund um die Teuerung noch zu wenig, sie beruft deshalb am Mittwoch eine Sondersitzung ein. Können Sie das nachvollziehen?
RAUCH Also aus Sicht der Opposition passiert natürlich immer alles zu spät und zu wenig. Aber ich war gerade jetzt wieder auf der europäischen Ebene unterwegs und tausche mich mit anderen Sozialministern aus: Wir haben in Österreich über 40 Milliarden Euro für kurz- und längerfristige Maßnahmen in die Hand genommen, unter anderem 60 Euro pro Kind pro Monat zusätzlich für armutsgefährdete Familien. Das ist im Europa-Vergleich fulminant und ich finde es ein bisschen ungerecht, zu sagen, alles ist zu spät und zu wenig. Und es ist frivol den Betroffenen gegenüber, weil ich weiß aus unzähligen Gesprächen, dass das Geld ankommt und hilft.
Aber zum Beispiel diese 60 Euro werden erst ab September ausbezahlt.
RAUCH Weil es von der technischen Umsetzbarkeit her eine Herausforderung ist. Uns ist immer die „Gießkanne“ vorgeworfen worden, wenn man das nicht macht, sondern eine Treffsicherheit möchte, braucht es einen Vorlauf, um die Auszahlung so machen zu können, dass es dort ankommt, wo es die Leute wirklich brauchen.
Die Sozialleistungen werden anhand der Inflationsrate von August bis Juli erst im Jänner angepasst. Ist das ein Konstruktionsfehler?
RAUCH Nein, weil man nun einmal einen bestimmten Zeitpunkt braucht. Das ist in Zeiten einer besonders hohen Inflation ein Problem, bei 2–3 Prozent ist es das nicht. Das Problem ist, dass viele Sozialleistungen über Jahrzehnte gar nicht angepasst wurden und damit eine Wertminderung eingetreten ist. Dem ist jetzt Einhalt geboten.
Integrationsministerin Susanne Raab denkt über eine Leistungspflicht in Deutschkursen für den Empfang von Sozialleistungen nach. Ist das verfassungsrechtlich überhaupt möglich?
RAUCH Also nachdenken darf ja jeder über Vieles, aber das war’s dann schon. Mehr mag ich dazu nicht kommentieren, weil es für uns Grüne keine umsetzbare Idee ist.
Sind solche Ansagen ein Zeichen dafür, dass der Wahlkampf auch innerhalb der Regierung begonnen hat?
RAUCH Es gibt sie immer wieder einmal, aber wir arbeiten immer noch ganz viele Dinge ab: Finanzausgleich und Gesundheitsreform sind eine Riesen-Herausforderung Wir sind auch dabei, die Zinspolitik der Banken in den Griff zu bekommen. Die Zusammenarbeit funktioniert nach wie vor, die Unterschiede sind oft medial größer nach außen, als sie sich innen darstellen.
Weil es in Vorarlberg Thema ist: Sollten Schwangerschaftsabbrüche nicht zur Grundversorgung in öffentlichen Spitälern gehören?
RAUCH Also ich bin froh, dass es eine Lösung gibt. Ich war in Vorarlberg nicht mittendrin im Thema, aber meiner Wahrnehmung nach hat Gesundheitslandesrätin Rüscher einen wirklich guten Job gemacht und die Nachfolgelösung für Doktor Hostenkamp auch gegen Widerstände in ihrer eigenen Partei möglich gemacht. Das ist gut so und dafür danke ich ihr.
Ist die ÖVP in solchen Themen immer noch zu konservativ, zu rückständig?
RAUCH Teile der ÖVP. Ich sage: eine Minderheit.
Keine Teile, die Sie in der Regierungsarbeit erleben?
RAUCH Nein. Also das sehe ich nicht als Problem.
Aktuell läuft eine parlamentarische Petition darüber, den Zugang zu medizinischem Cannabis – etwa für Schmerzpatienten – zu erleichtern. Müsste das für einen Gesundheitsminister nicht ein offensichtliches Vorhaben sein?
RAUCH Das wird bei uns immer wieder geprüft. Jetzt schauen wir uns einmal das deutsche Modell an, das vom Ansatz her nicht ganz unklug ist, nämlich das Alter und den THC-Gehalt miteinander zu verknüpfen. Und für die medizinische Behandlung bin ich dafür, Erleichterungen hinzubekommen, das ist jedenfalls eine Zielsetzung.
Hat sich Österreich zu lange auf dem Gedanken ausgeruht, dass man eh so ein tolles Gesundheitssystem hätte?
RAUCH Das ist der eine Punkt. Der zweite ist, dass nordische Staaten zum Beispiel mit Ernährungsbewusstsein deutlich weiter sind als wir. Ich orte jetzt aber eine Generation, die ein völlig anderes Bewusstsein in diesen Fragen hat. Das hat nichts damit zu tun, sich nur noch vegan oder vegetarisch zu ernähren, sondern einfach viel bewusster.
Heuer gab es in Österreich bisher 153 Masernfälle. Das sind Erkrankungen, die dank einer sicheren und verfügbaren Impfung vermeidbar wären, die Impfrate ist aber eingebrochen. Ist daran die Covid-Impfpflicht schuld?
RAUCH Daran sind die Debatten schuld, und in denen vor allem rechte und rechtsextreme Bewegungen, die die Impfung als Teufelszeug diskreditieren. Diese Debatten sind mitverantwortlich dafür, dass solche Geschichten auftreten. Und das geht auch eindeutig in Richtung der FPÖ: Wer die Impfung als solche diskreditiert, macht sich mitverantwortlich für das Wiederauftreten von Masernfällen und anderen Krankheiten, die fast als ausgerottet galten. Jetzt arbeiten wir an einer besseren Zustimmung zur Impfung: Das ist kein Teufelszeug, sondern eine große Errungenschaft, um schwerste Krankheiten zu verhindern.
Die Debatte über die Covid-Impfpflicht wurde aber ja auch zum Beispiel innerhalb der Regierung geführt.
RAUCH Abseits der Pflicht ist aber evident, dass diese Impfung hilft. Zwar schützt sie nicht vor Ansteckung, aber vor schweren Verläufen und vor Long COVID. Deshalb wird es demnächst eine neue Empfehlung des Nationalen Impfgremiums geben, sich auch im Herbst wieder impfen und auffrischen zu lassen.
In Oberösterreich erhalten Eltern einen Zuschuss von 405 Euro, wenn das Kleinkind das Impfprogramm durchläuft. Ist das ein Modell für ganz Österreich?
RAUCH Ich halte jeden Anreiz, dass Impfungen – vor allem Kinderimpfprogramme – durchgeführt werden, für sinnvoll. Wir arbeiten gerade daran, den Eltern-Kind-Pass zu digitalisieren und haben einige zusätzliche Leistungen aufgenommen. Und meine Zielsetzung wäre in weiterer Folge auch, die zusätzlichen Kinderimpfungen unterzubringen.
Und damit für Sozialleistungen verpflichtend zu machen?
RAUCH Genau, exakt. Aber es muss im Rahmen des Eltern-Kind-Passes sein und nicht als isolierte Sanktionsmaßnahme, das lehne ich ab.
Kommt die FPÖ ihrer Verantwortung als Oppositionspartei nicht ausreichend nach?
RAUCH Das ist eine schwierige Frage. Eine ähnliche Debatte wie in Deutschland: Wie soll man jetzt mit der AfD umgehen? Es gibt halt offene Tendenzen nicht nur zu rechtspopulistischen Gedanken. Das hat der Bundeskanzler richtig artikuliert, das ist eine Gefährdung für Österreich. Wer eine Festung errichten will, wie es die FPÖ möchte, der muss den Menschen auch dazusagen, dass dann niemand da sein wird, der ihn pflegt. Das ist der FPÖ egal, für die zählt nur der Augenblickserfolg.
Ist die Bundes-ÖVP glaubwürdig, wenn sie sagt, dass man mit Herbert Kickl nicht koaliert?
RAUCH Ich orte eine intensive Debatte darüber, wie man es mit der FPÖ hält. Die Aussagen Kickls sind klar, die Nagelprobe kommt nach der nächsten Nationalratswahl. Es wird darum gehen, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen und nicht einem politischen Hasardeur wie Herbert Kickl den Weg ins Kanzleramt zu ebnen.
Braucht man eine private Pensionsversicherung, um im Alter gut abgesichert zu sein?
RAUCH Ich finde, wir haben ein Pensionssystem, das trägt und das stabil ist und in dem wir immer versuchen, die Kleinen auch anzuheben und einen Ausgleich zu schaffen. Das ist auch gut so, denn angewiesen zu sein auf eine private Kapitalmarkt-finanzierte Pension ist ein zweischneidiges Schwert. Damit setze ich mich den Verwerfungen auf den Kapitalmärkten aus. Es gibt etliche private Pensionskassen, wo das inzwischen spürbar ist.
Das Modell einer teilweisen Aktienpension, wie es die ÖVP vorschlägt, ist für Sie also kein Thema?
RAUCH Nein, das Rumdoktern am österreichischen Pensionssystem, das auf einem Generationenvertrag basiert, halte ich nicht für sinnvoll. Weil da ist der Staat, die staatliche Garantie, die Verlässlichere als irgendwelche Kapitalmarkt-Versprechungen, die ohnehin nicht eintreten.
Ist das System mit immer höheren Zuschüssen aus dem Budget sicher genug?
RAUCH Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Es ist jetzt einige Jahre so, dass die Zuschüsse steigen, weil die Babyboomer in Pension gehen, aber: Wir haben eine Erwerbsquote, die extrem hoch ist, und die Kurve beginnt langfristig wieder zu sinken. Selbst laut Alterssicherungskommission ist bis zum Jahr 2070 mit einer Stabilisierung zu rechnen. Das Krankreden des Pensionssystems ist völlig verfehlt.
Wir werden in Zukunft also nicht länger arbeiten müssen?
RAUCH Länger arbeiten in dem Sinn, dass das faktische Pensionsantrittsalter bei 65 Jahren sein wird müssen, nicht bei 62, 63. Aber eine Erhöhung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters sehe ich nicht.
Gehen Sie nach der Wahl 2024 in Pension?
RAUCH Ja, das ist meine Lebensplanung. Es war nicht mein Lebensplan, Minister zu werden, aber meine Zeit endet mit Ablauf dieser Legislaturperiode.
Selbst wenn eine „Ampel“-Regierung Sie als Gesundheitsminister möchte?
RAUCH Meine Zeit endet nach dieser Periode. Das habe ich immer gesagt, das sage ich heute, das werde ich auch dann sagen.
Wie hoch wird denn Ihre Pension sein?
RAUCH Keine Ahnung. Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt.
Haben Sie eine private Pensionsversicherung?
RAUCH Eine, weil ich lange Zeit als Klubobmann im Landtag nicht die Möglichkeit hatte, in die gesetzliche Pensionsversicherung einzuzahlen. Aber ansonsten bin ich ein normaler ASVG-Versicherter. Ich habe schon mit 17 Jahren angefangen zu arbeiten, meine Beitragsjahre kriege ich also zusammen.