Dieser Text erschien zuerst am 25.11.2021 in den Vorarlberger Nachrichten und ist weiterhin hier abrufbar.
In der zweiten Republik herrschte Konsens über die Wiedereinführung der Pockenimpfpflicht. Fast.
Wien, Bregenz Als 1948 mit dem „Bundesgesetz über Schutzimpfungen gegen Pocken“ die Impfpflicht wiedereingeführt wurde, äußerten sich im Rahmen des parlamentarischen Begutachtungsverfahrens alle Ärzte- und Arbeiterkammern, die Gewerkschaften sowie alle Länder positiv zum neuen Gesetz. Bis auf eines: Das Amt der Vorarlberger Landesregierung sprach sich gegen die Regierungsvorlage aus, wenngleich es mit dem Gesetz einverstanden wäre, sollte dieses beschlossen werden. So steht es im Bericht des Gesundheitsausschusses vom 23. Juni 1948.
Näheres weiß Markus Schmidgall, Historiker im Landesarchiv: „Die damals Verantwortlichen stützten sich in einer Stellungnahme insbesondere auf die seit 1938 eingeführte reichsdeutsche Impfpflicht bei den Pocken“. Zunächst wurde diese für Heeresangehörige eingeführt, im Juli 1939 verordnete der Innenminister des Deutschen Reiches dann die „Einführung reichsrechtlicher Vorschriften zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten in der Ostmark“ – Teile des deutschen Rechts wurden damit zu österreichischem. So auch das Pockenimpfgesetz.
Speziell das Land Vorarlberg war skeptisch, weil die Hausärzte unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges an der Umsetzung der Impfpflicht beteiligt sein sollten. „Ebenso wurde auf die damals niedrigen Fallzahlen von Pocken in Österreich insgesamt und die ‚nicht immer harmlose‘ Impfung an sich verwiesen“, erläutert Schmidgall: „Konkret wurde auf Hirnentzündungen infolge von Impfungen hingedeutet.“ Außerdem habe das Land die Gefahr der Pocken schon wahrgenommen, denn im Gegenzug „sprach man sich doch für eine ‚freiwillige Pockenimpfung in Österreich‘ aus.“
Ursprung im 19. Jahrhundert
Das Impfgesetz reicht zurück in das Jahr 1874, als es unter Kanzler Otto von Bismarck beschlossen wurde. Demnach sollte jedes Kind in seinen ersten beiden Lebensjahren eine Impfung bekommen, wie auch „jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privatschule“. Ähnlich zu den Covidmaßnahmen war eine Ausnahme für jeden, welcher „ohne Gefahr für sein Leben oder für seine Gesundheit nicht geimpft werden kann“ festgeschrieben.
Die Protokolle der Reichstagssitzungen im Februar und März 1874 zeigen ähnliche Debatten wie heute. Ungeklärte Impfkomplikationen, wie Nebenwirkungen, Krankheitsübertragungen und unbefriedigende Impferfolge waren die Hauptkritikpunkte. Außerdem misstrauten viele den statistischen Angaben zur Krankheit. Befürworter strichen den Grundsatz heraus, dass der Staat dazu verpflichtet sei, „seine Einwohner gegen eine schwere Seuche zu schützen und viele Leben zu erhalten“.
Konsens über Notwendigkeit
Doch zurück nach Österreich, zurück ins Jahr 1948. Trotz der Stellungnahme Vorarlbergs war sich der Ausschuss schlussendlich einig. Die Abgeordneten betonten, dass sich „eine Verminderung der Impffreudigkeit“ zeige. Dies liege unter anderem am Glauben, wonach die Seuche bereits ausgestorben sei. Festgehalten wurde außerdem, „dass ein noch nicht diagnostizierter Kranker zu einer gefährlichen Ansteckungsquelle“ werde.
So war der Weg geebnet für eine Neuregelung der Pocken-Impfpflicht, am 30. Juni 1948 wurde sie im Nationalrat einstimmig beschlossen. Große Impfaktionen im ganzen Land – speziell an den Schulen – waren die Folge. Die wurden erst langsam aber sicher ausgesetzt, als die weltweiten Neuinfektionen abebbten. Und nach endgültiger Ausrottung des Virus wurde das Gesetz zum Jahreswechsel 1981 wieder abgeschafft.
Die Dokumente zur Pockenimpfpflicht können im Lesesaal des Landesarchivs eingesehen werden. Die Akten finden sich im Archivbestand „Amt der Vorarlberger Landesregierung III, Abteilung Präsidium“ unter den Ordnungszahlen Prs-468/1948 bzw. Prs-563/1961.