Diese Reportage erschien zuerst am 27.1.2022 in den Vorarlberger Nachrichten und ist weiterhin hier abrufbar.
Israels Außenminister Yair Lapid besuchte anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Holocaust das ehemalige Konzentrationslager. Auch Österreichs Regierungsspitze war vor Ort.
Mauthausen Der Wind pfeift bissig, als ein israelischer Sicherheitsmann um die Ecke tritt. Und noch einer, gefolgt von Kollegen der österreichischen Exekutive. Es ist der internationale Gedenktag für die Opfer des Holocaust und das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen gleicht einer Hochsicherheitszone.
Das liegt vor allem an der Delegation, die in diesen Augenblicken den ehemaligen Appellplatz, eingeklemmt zwischen noch erhaltenen Baracken, betritt. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer wird flankiert von Außenminister Alexander Schallenberg, Innenminister Gerhard Karner und Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer. Außerdem vor Ort ist der israelische Außenminister und alternierende Premierminister Yair Lapid.
Erinnerungen bewahren
Sie alle legen vor dem Sarkophag in der Mitte des Platzes, begleitet von Tönen einer Klarinette, ein stilles Gedenken ein, Nehammer und Lapid richten die Schleife an in den jeweiligen Landesfarben geschmückten Kränzen, der Tross zieht weiter in eine der Baracken und in den „Raum der Namen“. Also in den Raum, in welchem der Großteil der rund 90.000 Opfer von Mauthausen und seinen Außenlagern namentlich verzeichnet ist. Einer von ihnen ist für Außenminister Yair Lapid ein besonderer Name: Bela Lampel. Es ist der Name seines Großvaters. Bela Lampel starb am 5. April 1945 in Ebensee.
„Im Namen der Republik Österreich“ entschuldigt sich Bundeskanzler Karl Nehammer für die hier begangenen Verbrechen und für die Ermordung seines Großvaters bei Yair Lapid, so steht es nun im Gästebuch der Gedenkstätte. In seiner Rede, die er im Anschluss an den Rundgang über das Gelände im Besucherzentrum hält, betont er außerdem die Bedeutung des Ortes: „Es ist ein Ort des Andenkens. Wir können sicherstellen, dass die Erinnerungen an die Opfer für immer weiter leben. Wir müssen ihre Geschichten erzählen.“ Außenminister Alexander Schallenberg stellt währenddessen klar, dass die Republik ihre Verantwortlichkeit zu lange bestritten habe: „Viel zu lange hat sich Österreich nur als Opfer des Nationalsozialismus gesehen. Wir haben uns gescheut, unsere historische Verantwortung anzuerkennen. Heute nehmen wir diese Verantwortung vollumfänglich wahr.“
„Er war eine Nummer“
Yair Lapid ist zum zweiten Mal in Mauthausen, 2013 war er bereits mit seiner Schwester zu Gast, damals noch als Oppositionsführer Israels. Das berichtet die Direktorin der Gedenkstätte, Barbara Glück. Der offizielle Besuch am internationalen Gedenktag sei ihm außerdem ein besonderes Anliegen gewesen. Das wird auch in seiner Rede deutlich. Yair Lapid erzählt von seinem Großvater, er berichtet von der Nacht auf den 18. März 1944, als Bela Lampel von einem SS-Soldaten aus dem Schlaf gerissen und zunächst nach Auschwitz deportiert wurde: „Als er hier in Mauthausen ankam, war er kein Vater mehr, er war nicht mehr dick, er war kein Mensch mehr. Er war eine Nummer.“ Sein Großvater sei kein wichtiger Mann gewesen, aber: „Er hat nie jemandem Unrecht getan. Er hasste niemanden. Er war einfach Jude.“
Alexander Schallenberg verdrückt einige Tränen, der Bundeskanzler und die Außenminister umarmen sich, es kehrt Stille ein. Doch der Wind pfeift unermüdlich weiter. Wie wohl auch vor 76 Jahren, als Bela Lampel umkam. Wie in der Zeit, die niemals vergessen werden soll.